19. Dezember 2019 | 07:00 Uhr
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Ohne Verbote und Vorgaben passiert beim Klimaschutz nichts

Der Markt versagt beim Klimaschutz in der Reisebranche, die Hoffnung auf freiwillige Verhaltensänderung ist vergebens, sagt Tourismusforscher Torsten Kirstges von der Jade Hochschule Wilhelmshaven. In einem Gast-Blog für Reise vor9 fordert er deshalb radikale Maßnahmen wie das Verbot von innerdeutschen Flügen und Schweröl auf Kreuzfahrtschiffen.

Icon Gast-Blog

Nachhaltigkeit ist schon seit Mitte der 1980er Jahre ein Thema in der Reisebranche. Doch seit 30 Jahren zeigt sich keine signifikante Veränderung der Nachfrage nach nachhaltigeren Reisen. Die CO2-Kompensationsquoten liegen selbst beim Forum anders reisen unter zehn Prozent. Es macht also keinen Sinn, darauf zu hoffen, dass der Kunde Maßnahmen gegen den Klimawandel freiwillig finanzieren wird. Wir dürfen daher die Verantwortung nicht auf den Einzelnen schieben.

Richtig ist, dass andere Branchen schlimmer sind, zum Beispiel die Containerschifffahrt, die Agrar- und Fleischindustrie oder die Autoindustrie. Aber das befreit uns Touristiker nicht von der eigenen Verantwortung. Es gibt seit Jahrzehnten genug Studien zur Problematik und zu Lösungsansätzen der Nachhaltigkeit. Es fehlt also nicht am Basiswissen. Was wir jetzt brauchen, ist konkretes politisches Handeln.

Alle Branchen bieten gerne Maßnahmen an, die kaum weh tun und idealerweise gleichzeitig Kosten sparen: Wasserflaschen statt Einwegplastik oder freiwilliger Handtuchwechsel im Hotel. Unternehmen reagieren aber erst dann, wenn die zu erwartenden Nachteile eines Handelns zu hoch sind. Beispiel der Verzicht auf Elefantenreiten oder Delfinarien durch deutsche Reiseveranstalter. Dies passierte keinesfalls aus innerer Überzeugung des Managements heraus, sondern erst, nachdem massive Medienproteste imageschädigend zu wirken drohten.

Solche Ansätze sind durchaus sinnvoll und wünschenswert. Aber für den Klimaschutz brauchen wir große Würfe – und die werden weh tun! Eine klimafreundlichere Reise gibt es nicht ohne Verzicht und/oder ohne Mehrkosten. Mit folgenden konkreten Forderungen – mit denen ich mich in der Tourismusbranche kurzfristig bestimmt unbeliebt mache – wende ich mich an die Politik:

  • Alle innerdeutschen Flüge mit einem zeitlichen Vorlauf verbieten. Ebenso alle Flüge ab Deutschland ins benachbarte Ausland unter 600 Kilometern. Gleichzeitig das Bahnangebot stark ausbauen und preislich mit dem Pkw konkurrenzfähig gestalten.
  • Kerosin besteuern und die Luftverkehrssteuer stärker erhöhen. Die beschlossenen Beträge führen nämlich nicht zu einer Nachfragelenkung.
  • CO2-Kompensation für alle verpflichtend, gemessen nach strengen Maßstäben zum Beispiel gemäß Atmosfair. Und natürlich keine gegenläufig wirkende Erhöhung der Pendlerpauschale.
  • Verbot von Schweröl auf allen Schiffen, die Deutschland anfahren; wer Schweröl gebunkert hat, muss draußen bleiben.

Hier kann und muss Deutschland als eine der wohlhabendsten Nationen vorangehen. Die Ausrede, dass solche Maßnahmen nur realisierbar sind, wenn die ganze Welt oder Europa mitspielt, muss verworfen werden. Mit solchen Maßnahmen machen sich Politiker unbeliebt bei den betroffenen Menschen, die auch Wähler sind. Doch wir brauchen Politiker, die solche unpopulären, aber für einen wirksamen Klimaschutz effektive Maßnahmen angehen.

Fazit: Der Markt regelt das Klimaproblem nicht. Wir brauchen Verschärfungen, die leider vielen weh tun werden. Wo der Markt versagt, muss die Politik Verbraucher und Branchen positiv bevormunden. Reisen wird dadurch teurer, aber dies führt nicht zu einem Markteinbruch oder zur Entdemokratisierung der Urlaubsreise.

Wir haben beim Verbot von Tabakwerbung, bei der Anschnallpflicht im Auto oder beim bleifreien Benzin gelernt, dass und wie dies funktioniert. Solche Ver- oder Gebote treffen alle und sind damit wettbewerbsneutral für die in Deutschland tätigen Unternehmen. Deshalb werden strenge Vorgaben zähneknirschend akzeptiert. Es ist höchste Zeit, dass dies auch in der Reisebranche passiert.

Was sagen Sie zu den Thesen und Forderungen von Torsten Kirstges? Hat er Recht, oder sind Sie völlig anderer Meinung? Schreiben Sie an die Redaktion von Reise vor9.

Kirstges Torsten_Foto privat

Professor Torsten Kirstges lehrt an der Jade Hochschule in Wilhelmshaven Tourismuswirtschaft. Seine Schwerpunkte sind unter anderem das Management von Reiseveranstaltern und Reisemittlern. Mit nachhaltigem Tourismus beschäftigt sich Kirstges schon viele Jahre. Im März ist die vierte, aktualisierte Auflage seines Buchs "Sanfter Tourismus" erschienen, in dem er sich auch mit den Folgen des Klimawandels für die Reisewirtschaft auseinandersetzt. Das Buch ist im Eigenverlag erschienen, kostet 49 Euro und kann unter Kirstges@aol.com bestellt werden.

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