Wie ein Reisebüro mit einer Azubi-WG Nachwuchs gewinnt
"Wir haben uns in der Hotellerie inspirieren lassen", sagt Aron Stiefvater (Foto links) nach der Schlüsselübergabe mit seiner Schwester (rechts) an zwei Auszubildende der Reisebüros. In Weil am Rhein hat er ein Haus mit Garten angemietet, damit seine Azubis einen entspannten Berufsstart haben. Was ihn das kostet und warum er glaubt, dass sich das Investment lohnt, erzählt Stiefvater Counter vor9.
"Wir haben in vielen Gesprächen gemerkt, dass eine Ausbildung bei uns an der Wohnsituation gescheitert ist“, sagt Aron Stiefvater über die Beweggründe zu der Aktion Azubi-WG. Die jungen Leute ziehen zuhause aus, verlassen ihr vertrautes Umfeld und sollen dann vom Azubi-Gehalt ihren Lebensunterhalt und Miete bestreiten sowie einen eigenen Haushalt gründen. Das sei für viele einfach nicht machbar, beziehungsweise eine zu große Hürde. Mit der Azubi-WG hätten die Neuzugänge maximal ein Jahr Zeit, um anzukommen, sich entspannt zu orientieren und sich selbst Wohnraum zu suchen. "Auch die Probezeit ist ein Punkt, es kann ja auch mal nicht passen", weiß der Reisebüroinhaber.
Ein weiterer Vorteil sei der Teambuilding-Effekt der Wohngemeinschaft. Das Haus werde auch für Firmenfeiern genutzt und so lernen sich Mitbewohner und Team natürlich schneller und besser kennen als nur bei der Arbeit. "Was haben wir schon zu verlieren, falls das nicht funktioniert? Wir probieren das jetzt einfach mal aus und der Start verläuft schon mal gut“, sagt Stiefvater.
Monatliche Kosten von 1.000 Euro
Die Immobilie mit Garten gehörte guten Kunden, die einen Mieter suchten. "Wir wollten einen Ort, der zum Familienunternehmen passt und es passte perfekt", sagt er. Das Investment vor dem Einzug sei fünfstellig gewesen, für Erstausstattung und Kaution. "Wenn das Haus voll vermietet ist, mit drei Personen, dann zahlen wir dafür kalt rund 1.000 Euro im Monat", so der Touristiker. Die Mieter kostet es 500 Euro monatlich, All-inclusive mit Umlagen, Strom, Internet und mehr. Man könne auch mehr Personen dort unterbringen, jedoch wolle man lieber mehr Platz für maximal drei Bewohner, damit es nicht zu eng werde. Ein Ausbau in Zukunft sei denkbar. Sehr wichtig sei die Lage, fußläufig zu drei der fünf Reisebüros der Familie Stiefvater und nah zur Bahn.
Insgesamt hat das Familienunternehmen 50 Mitarbeiter in Voll und Teilzeit, davon aktuell sieben Auszubildende. "Wir hatten vor der Pandemie immer zwischen zehn und zwölf Azubis, idealerweise vier pro Lehrjahr, da wollen wir wieder hin", so das ausgegebene Ziel.
"Branche muss mehr wagen"
Übrigens weckt das Projekt Begehrlichkeiten, denn die älteren Mitarbeiter witzeln schon, dass sie nun auf eine Seniorenresidenz der Firma hoffen, lacht Stiefvater. Eines ist ihm noch wichtig: Falls Kollegen Hilfe bräuchten oder im Detail wissen wollen, wie sie die Azubi-WG angegangen sind, stehe er jederzeit Rede und Antwort. "Alle reden vom Fachkräftemangel und der schlechten Lage. Wir müssen einfach alle gemeinsam etwas tun und mehr wagen", sagt er. So könnten sich auch kleine Reisebüros einer Region zusammentun und Wohnraum für potenzielle Bewerber schaffen. Nur mit Zusammenhalt in der Branche und Ideen könne es gehen, dass sich etwas ändert.
Sabine Schreiber-Berger