13. Januar 2020 | 07:00 Uhr
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Was 2020 auf die Reisebranche zukommt

Ein turbulentes Jahr liegt hinter der Reiseindustrie – und auch vor ihr, glaubt Tourismusexperte und Unternehmensberater Markus Heller. Im Veranstaltermarkt werden die Karten neu gemischt, im Vertrieb sorgen die Digitalisierung und Rabatte für Unruhe und im Ferienflugverkehr ist die Zukunft von Condor ungewiss, schreibt Heller in einem Gast-Blog für Reise vor9.

Icon Gast-Blog

1. Veranstalter: Strukturelle Veränderungen bestimmen das Geschehen

Nach der Insolvenz von Thomas Cook und dem Verkauf einer Reihe von Veranstaltermarken durch den TUI-Konzern werden in der Pauschaltouristik die Karten neu gemischt. Mit der Übernahme der Cook-Töchter Öger, Bucher und Neckermann durch die Anex-Gruppe, dem Erwerb von Berge & Meer und Boomerang durch die Beteiligungsgesellschaft Genui, der Übernahme von Wolters durch E-Domizil, dem noch anstehenden Verkauf von Ameropa sowie die Sicherung der Marke Thomas Cook durch die chinesische Fosun-Gruppe wechseln so viele namhafte Reiseveranstalter und Marken ihren Besitzer wie wahrscheinlich noch nie zuvor.

In der Konsequenz wird sich vertrieblich einiges ändern: Produktsortimente werden von den neuen Eigentümern der Veranstalter kritisch überprüft und Provisionsmodelle angepasst werden. Das dürfte zu mehr oder weniger starken Einnahmeeffekten auf der Reisebüroseite führen. Durch den zunehmenden Druck hin zur Digitalisierung ist bei sämtlichen Zusammenschlüssen eine nachhaltige Anpassung der Vertriebs- und Ertragsmodelle zu erwarten.

2. Vertrieb: Kooperationen müssen Steuerung beweisen

Aber auch die Vertriebsorganisationen stehen vor strukturellen Veränderungen. Insbesondere durch neue Eigentümerverhältnisse im stationären Vertrieb finden derzeit viele Reisebürobesitzer eine neue Heimat und richten sich gegebenenfalls neu aus. Die nominelle Marktmacht der RTK-Kooperation wird weiter steigen – beweisen muss die Zentrale in Burghausen nun, dass sie die angekündigte Professionalisierung der Vertriebssteuerung auch realisieren kann.

Vertriebsorganisationen wie die der DER Touristik, TUI oder LCC starten ebenfalls die Umsetzung ihrer Digitalisierungsoffensive. Mit Plattformansätzen wird versucht werden, zum einen Geschäftsprozesse an den Anforderungen der digital lebenden jüngeren und mittleren Generation auszurichten und zum anderen in der Aufbereitung von Kundendaten an die Professionalität vieler Online-Player heranzukommen.

Die wachstumsgetriebenen Geschäftsmodelle von Check24 & Co. werden weiter auf die Vertriebsmargen drücken und durch Rabatte und Quersubventionierungen den Vertriebsmarkt vor sich hertreiben. Ob im Jahr 2020 bereits die Etablierung ganzer Buchungsumgebungen mit einer tiefen Integration unterschiedlichster Produkt- und Buchungsportale sowie des Ansatzes echter „connected trips“ durch Booking.com zum Durchbruch kommt, bleibt abzuwarten. Sollte dies allerdings geschehen, so wird hier der größte Game-Change mit umfassenden Auswirkungen auf die mitteleuropäischen Veranstalter- und Vertriebsmodelle Realität!

3. Airlines: Neue Player drängen auf den Markt

Der touristische Flugmarkt wird sich 2020 nach einer Reihe von Insolvenzen wie von Airberlin vor zwei Jahren sowie von Germania und der „Beinahe-Insolvenz“ der Condor im letzten Jahr, ebenfalls neu sortieren. Schaffen es Eurowings und Condor ihren Flugbetrieb zu stabilisieren? Trotz einer Vielzahl von gescheiterten Versuchen kleiner Airline-Marken in den vergangenen Jahren werden einmal mehr neue Player auf den Markt drängen und versuchen, Marktlücken zu nutzen.

Konsequenzen wird auch die durch die Lufthansa kurz vor Weihnachten angekündigte Intensivierung ihrer Vertriebsaktivitäten der Kernmarke in der Premiumtouristik haben. Für die Bausteintouristik, die margenstarken exklusiven Pauschalangebote sowie die Eigenveranstaltung des Vertriebs könnte der Kranich (wieder) ein zunehmend wichtiger Leistungsbestandteil werden.

4. Destination Management: Im Zielgebiet wird das Geld verdient

In den Zielgebieten hat vor allem die DER Touristik durch stetigen Ausbau der eigenen Destination Management Company (DMC), Stärkung der eigenen Hotelmarke Cooee sowie durch Übernahme ausgewählter Hotelmarken wie Sentido Boden gut gemacht. Künftig wird man versuchen, die Geschäftsmodelle von TUI und FTI zu adaptieren und Ertragskraft verstärkt aus der DMC zu generieren. Der Druck auf die reinen Veranstalter wird vor diesem Hintergrund weiter zunehmen, da das Geld vorrangig in der Destination verdient wird und die Bündelung von Reiseleistungen immer kleinere Margen abwirft.

Ein weiterer destinationsrelevanter Aspekt ist die Buchbarkeit einer steigenden Zahl von Destinationsleistungen sowohl direkt durch den Endkunden als auch durch Vertriebsorganisationen im Quellmarkt. In Zeiten von Overtourism in Massendestinationen sowie der Instagramability von Urlaubserlebnissen und -orten gewinnt das unique Urlaubserlebnis mehr und mehr an Bedeutung. Der Reisevertrieb muss sich vor diesem Hintergrund noch stärker auf Detailfragen zu Erlebnissen vor Ort und dem frühzeitigen Buchen knapper Leistungsangebote im Zielgebiet einstellen.

Heller Markus Dr Fried und Partner Geschäftsführer

Markus Heller (Foto) ist seit 1995 Berater und seit 1998 geschäftsführender Gesellschafter der auf Tourismus spezialisierten Unternehmensberatung Dr. Fried & Partner in München. Nach dem Studium der Betriebswirtschaft an den Universitäten Wien und München promovierte Heller am Institut für Tourismus und Verkehrswirtschaft an der Universität St. Gallen. Schwerpunkte seiner Beratungstätigkeit sind Vertrieb, Vermarktung und Organisation.

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