26. Januar 2024 | 07:00 Uhr
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Warum Touristiker KI keinen Erstkontakt überlassen sollten

"Eine künstliche Intelligenz kann weder Emotionen lesen, noch ausdrücken oder ansprechen", sagt Hochschuldozent Max Hübner (Foto) im Interview mit Counter vor9. Wer einem Chatbot die Antwort auf erste Anfragen von Kunden überlasse oder sie im Beschwerdemanagement einsetze, setze auf Schema F und verspiele das wichtigste Argument für das Reisebüro – den Menschen.

Hübner Max 2024 Foto Max H Vermarktung

Max Hübner macht angehende Touristiker fit für den Berufsalltag

Wie haben sie das Thema KI für sich entdeckt?

Max Hübner: Ich bin in meinem Berufsleben in zwei Bereichen mit künstlicher Intelligenz konfrontiert. Als freier Mitarbeiter für Unternehmen beschäftige ich mich damit, etwa im Prozessmanagement. Dabei geht es weniger um technische Details, sondern um den Mehrwert der Anwendung für den Betrieb. Im Rahmen meiner Lehrtätigkeit für Hochschulen kontrolliere ich Hausarbeiten von Studierenden. Hier ist es meine Aufgabe, zu überprüfen, ob Projektarbeiten über den erforderlichen Eigenanteil an Recherche sowie logischer Zusammensetzung von Theorie und praktischer betriebswirtschaftlicher Analyse verfügen. Wer als Student ausschließlich Chat GPT genutzt hat, um sich durchzumogeln, wird von mir ertappt.

Wie können Sie Schummler enttarnen?

Die von mir gestellten Aufgaben erfordern eine Anwendung von Gelerntem auf einen speziellen Fall. Genau hier stößt KI an die Grenzen. Sie ist nicht in der Lage, komplexe Probleme zu lösen, für die es einen Wissenstransfer und Hintergrundwissen sowie Empathie erfordert.

Dennoch regen Sie an, dem Nachwuchs KI-Nutzung zu lehren.

Ganz klar, denn es geht aus meiner Sicht darum, im Arbeitsalltag produktiver zu werden. Ich rate meinen Studenten: 'Nutze doch Chat GPT, lass dir eine Grundstruktur erstellen.' Die eigentliche Arbeit jedoch beginnt danach, das Anpassen und Anwenden auf den einzelnen Fall.

Vielleicht ist KI dazu in ein paar Jahren imstande?

Ich glaube, das wird nie so sein. Die KI ist nur so gut wie die Datenbank dahinter – und eine vollständige Datenbank, die kann es nicht geben. Außerdem kann die künstliche Intelligenz keine Emotionen ablesen.

Warum ist das so wichtig, bezogen auf die Touristik?

In Zukunft werden definitiv weniger Mitarbeiter gebraucht, die nach Schema F arbeiten. Das kann eine KI tatsächlich gleichwertig übernehmen, so wie früher im Beschwerdemanagement. Da habe auch ich zu Beginn meiner Karriere bei einem Veranstalter gesessen und mit vorgefertigten Textbausteinen jongliert, um die richtige Antwort zusammenzustellen. Jedoch die Einschätzung zu treffen, wie sauer jemand ist, welchen Ton man anschlagen sollte und vor allem, welche Entschädigung oder Goodie angemessen sind, das kann nur ein Mensch. Das gilt auch für erste Anfragen von Kunden, die sollte kein Chatbot automatisiert beantworten. Es ist verschenktes Potenzial. Ich glaube nicht, dass das ein Erfolgsmodell ist.

Welche Aufgaben kann eine KI dann im Reisebüro gut übernehmen?

Bei der Arbeit in Betrieben geht es generell um zusätzliche Produktivität durch die Mitarbeiter. Eine KI kann etwa Anfragen vorsortieren oder nach Regeln filtern, aber die Antwort und der Erstkontakt sollte von Mensch zu Mensch laufen. Besser nochmal nachfragen und gegebenenfalls ein Telefonat führen, um herauszufinden, wie das Gegenüber tickt.

Können Sie weitere Anwendungsbeispiele beschreiben, von denen Reisebüros profitieren?

Ich möchte mich hier nicht unbedingt festlegen, denn Aufgaben im Reisevertrieb hängen stark von den jeweiligen Kunden ab. Was aber auf jeden Fall zutrifft ist, dass eine künstliche Intelligenz für viele Lösungen ein kleines Grundgerüst bietet. Wer beispielsweise einen Text für Social Media formulieren soll und wem dabei gerade so gar nichts einfällt, der kann sich von Chat GPT eine kleine Inspiration holen. Ein KI-generierter Textvorschlag muss natürlich noch auf die Unternehmensziele und an die Ausgangslage angepasst werden, aber zumindest wird dem Mitarbeiter eine gewisse Art an Kreativität abgenommen – das wiederum schafft zusätzliche Zeit, die er wieder für das Erstellen eines Angebots nutzen kann. Das steigert dann den Umsatz.

Und auf die Ausbildung bezogen, wobei kann KI da helfen?

Ein einfaches Beispiel kann ich aus meiner Ausbildung im Reisebüro liefern. Als Azubi wurden sämtliche Texte, die ich für eine E-Mail, ein Reiseangebot oder einen Blog-Beitrag geschrieben hatte, Korrektur gelesen. Es wurden Fehler markiert oder Formulierungen wurden verbessert. Heute können diese Prozesse durch Programme wie Chat GPT ergänzt werden. Die Ausbildung zur Erstellung eines Reiseangebots jedoch wird hier keinesfalls ersetzt. Aber im Gegensatz zu früher kann ein Azubi durch die schnelle Korrektur nicht zwei, sondern fünf Angebote versenden.

KI erledigt die Pflicht, der Mensch die Kür?

Das Beispiel soll verdeutlichen, dass sich Mitarbeiter stärker auf inhaltliche Ergebnisse konzentrieren können und formelle Arbeiten erleichtert sowie beschleunigt werden. Dieses mögliche Potenzial muss jeder Betrieb für sich definieren. Genau darum ist es meiner Meinung nach so wichtig, dass touristischer Nachwuchs bei der Nutzung von KI und Google ausgebildet wird. Denn auch das Internet beziehungsweise eine zielgerichtete Recherche ist etwas, was junge Leute nicht automatisch können, nur weil sie im Alltag viel online sind.

Wie meinen Sie das?

Das Smartphone oder auch der Computer haben sich immer mehr zum Tool für Entertainment entwickelt, hin zu Instagram und Tiktok, und weg vom Arbeitswerkzeug. Genau wie das Telefonieren selbst auch teils wieder erlernt werden muss. Vor allem für professionelle Kommunikation.

Welche Inhalte sehen sie auf der Schulungsagenda?

Auf einen kurzen Nenner gebracht: Wie kann man Internet, Chatbot, PC und KI nutzen, um produktiver zu werden? Das ist mir wirklich ein Anliegen, die jungen Leute in Sachen Produktivität auszubilden. Das geht aber nur Hand in Hand mit den Betrieben und ich bin auch deshalb ein Fan des dualen Ausbildungssystems, egal ob wir von einer kaufmännischen Ausbildung sprechen oder von einem betriebswirtschaftlichen Studium, weil so der Praxistransfer gewährleistet wird. 

Zur Person

Max Hübner ist seit rund 15 Jahren in der Touristik tätig. Er begann seine Karriere in einem Reisebüro in seiner Heimatstadt in Mecklenburg-Vorpommern und lebt in Berlin. Heute ist er als selbstständiger Projektmanager für mittelständische Unternehmen tätig und berät Geschäftsführungen in Sachen Marketing und PR. Seit einigen Jahren arbeitet er außerdem als Honorar-Dozent für verschiedene staatliche Hochschulen. 

Sabine Schreiber-Berger

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