15. April 2019 | 07:00 Uhr
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Standardwerk „Sanfter Tourismus“ neu aufgelegt

Torsten Kirstges, Professor an der Jade Hochschule in Wilhelmshaven, spannt in seinem mehr als 500 Seiten dicken Buch den Bogen von den tourismuskritischen Ansätzen der 80er Jahre über den Umweltgipfel in Rio und seine Folgen bis hin zur aktuellen Overtourism-Debatte und den Nachhaltigkeitsaktivitäten der Tourismusbranche.

In seiner neuen, vierten Auflage greift Kirstges in seinem Werk, das zuerst 1992 erschien, eine Fülle aktueller Praxisbeispiele auf, nimmt die Aktivitäten großer und kleiner Veranstalter unter die Lupe und beleuchtet nicht zuletzt auch den massive wachsenden Kreuzfahrtmarkt inklusive seiner Arbeitsbedingungen und der Auswirkungen für die Destinationen.

Dabei wird deutlich, dass viele der aktuell diskutierten Themen, wie etwa die Überlastung wichtiger Reiseziele, so neu nicht sind. Und auch die Protestbewegungen gegen touristische Auswüchse, wie sie etwa in Venedig und Barcelona entstanden sind, nahmen als „Aufstand der Bereisten“ vielerorts schon vor Jahrzehnten konkrete Formen an.

Bei allen Fortschritten, die Kirstges der Branche in Sachen Umweltbewusstsein und Ressourcenschonung zugesteht, bleibt sein Fazit am Ende skeptisch. Die dynamische Aufbruchstimmung im Veranstaltermarkt der 1980er und 1990er Jahre sei einer eher nüchtern-pragmatischen Orientierung auf die heutzutage notwendige, von Externen geforderte Nachhaltigkeit gewichen, schreibt er, vor allem mit Blick auf die großen Anbieter. Als Wachstumsmotoren taugten Konzepte eines sanfteren Tourismus eher nicht; insofern werde der Markt alleine die bestehenden Probleme nicht regeln, zumal es für „die negativen Auswirkungen des Handelns von Touristen und Unternehmen keinen adäquaten Marktpreis“ gebe. Auch die Nachfrageseite fördere Nachhaltigkeit nur in Ansätzen und Marktnischen ohne große Breitenwirkung. Wenige Veranstalter, insbesondere im mittelständischen Bereich, verfolgten aus voller Überzeugung einen sanfteren Tourismus als unternehmerisches Ziel, während viele die eher partiell, zum Beispiel über die Förderung von Umweltschutz- oder Sozialprojekten oder die Auszeichnung von Öko-Hotels in ihren Katalogen, täten.

Generell lässt sich das Buch trotz aller Best-Practice-Beispiele, die es skizziert, weniger als Handlungsanleitung auf dem Weg zu einem sanfteren Tourismus denn als Überblick über die Bandbreite umwelt- und sozialpolitischer Herausforderungen im Tourismus verstehen. Insofern eignet es sich sowohl als Lektüre für Einsteiger, die den Blickwinkel für ihre Arbeit im Tourismus über die rein betriebswirtschaftlichen Aspekte hinaus erweitern wollen, als auch für erfahrenere Praktiker, die sich durch die Beschäftigung mit ökologischen und sozialen Fragen vor drohender Betriebsblindheit schützen können.

Christian Schmicke

ISBN 978-3-935923-32-3 ist im Dr. Kirstges Buch- und Musikverlag erschienen.

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