Kein Ende der Dauerkrise bei der Bahn
In dieser Woche bekommt die Bundesregierung eine weitere desaströse Bilanz ihres größten Staatskonzerns präsentiert. Verluste und Schulden wachsen weiter alarmierend.
Stuttgart 21 wird noch teurer und noch später fertig – dieses Bau- und Finanzdebakel ist eines von zahlreichen Problemen, das DB-Chef Richard Lutz in dieser Woche wieder mal seinem Aufsichtsrat und danach der Öffentlichkeit erklären muss. Am Mittwoch tagt unter Vorsitz von Ex-Finanzstaatssekretär Werner Gatzer das 20-köpfige Kontrollgremium, in dem Vertreter der Bundesregierung und der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) den Ton angeben. Am Tag darauf präsentiert Lutz in Berlin den Geschäftsbericht – mit noch weit höheren Milliardenverlusten und Schuldenbergen als erwartet, wie bereits durchsickerte.
Weitere negative Schlagzeilen sind damit programmiert, nachdem der heftige Tarifstreit und die sechs Streiks der Lokführergewerkschaft GDL in den letzten Monaten das DB-Image noch mehr ramponierten. Deren Chef Claus Weselsky beklagt die Dauerkrise des Staatskonzerns seit Jahrzehnten und macht dafür neben den Managern die Politik verantwortlich, die dem Niedergang wenig entgegensetze und nötige Reformen scheue. Der Aufsichtsrat dulde sogar, dass Lutz und seine Vorstände trotz der desaströsen Lage auch noch satte Bonuszahlungen kassieren – während Lokführern in harter Schicht- und Wochenendarbeit die 35-Stunden-Woche verwehrt werde.
Für die Netzsanierung fehlen Milliarden
Verkehrsminister Volker Wissing hat die Bahn zwar nach Amtsantritt zur Chefsache erklärt, Verbesserungen jedoch sind seither kaum erkennbar. Im Gegenteil: Betriebsprobleme und Zugverspätungen wurden entgegen vollmundiger Versprechen noch größer, die Modernisierung der schon lange vernachlässigten bundeseigenen Infrastruktur droht sich wegen der Sparzwänge und Finanznöte der Regierung noch weiter zu verzögern. Ohne ein leistungsfähigeres Schienennetz aber kann es keinen besseren Bahnverkehr geben.
Wie stark die Bahn tatsächlich von Kürzungen betroffen sein könnte, zeigen interne DB-Unterlagen, aus denen der Spiegel zitiert. Demnach werden bis 2030 unter anderem nur 2.600 statt 4.200 Kilometer Strecken saniert und lediglich 520 statt 1.800 Bahnhöfe modernisiert, weil für die Infrastruktur rund 60 Milliarden Euro weniger bereitstehen als vorgesehen. Offiziell gibt es für diese massiven Einschnitte keine Bestätigung. Lutz und Wissing präsentieren sich bei PR-Terminen vor TV-Kameras lieber als Erfolgsduo – das nächste Mal am kommenden Dienstag im Berliner Hauptbahnhof beim Start des neuen ICE "Spree", der als 137. und letzter Zug der von Siemens gelieferten Modellreihe die ICE 4-Flotte komplettiert.
Rund neun Milliarden Euro Verlust seit Corona
Die enorm gestiegenen Fahrgastzahlen seit der tiefen Corona-Krise sind einer der wenigen Pluspunkte im deutschen Schienenverkehr und in der DB-Bilanz. Ansonsten sieht es trübe aus. Nach einem Reuters-Bericht wird der Staatskonzern für 2023 unterm Strich einen Jahresverlust von zwei Milliarden Euro ausweisen, gut 50 Prozent mehr als noch vor wenigen Monaten erwartet. Damit würde sich das Minus von zuvor 227 Millionen Euro fast verzehnfachen. Bereits in den beiden Corona-Jahren hatte die DB zusammen rund 6,6 Milliarden Euro Verluste eingefahren.
Damit hat Lutz für 2020 bis 2023 in Summe einen Fehlbetrag von rund neun Milliarden Euro zu verantworten. Seit seinem Amtsantritt 2017 werden die meisten Ziele gleich reihenweise verfehlt, wie schon bei seinem Vorgänger Rüdiger Grube, der in der Aufsichtsratssitzung entnervt hinwarf. Pompöse Strategiepapiere wie die "Agenda für eine bessere Bahn" (2018) oder "Starke Schiene" (2020) entpuppten sich ebenso als bloße Schönfärberei wie viele Gewinnprognosen. Im Amt konnte sich Lutz dennoch bis heute halten.
Schuldenberg wächst auf 34 Milliarden Euro
Die Wahrheit ist in mehreren Sonderberichten des Bundesrechnungshofs nachzulesen, der die DB als schweren Sanierungsfall einstuft und auch der Regierung wiederholt ein verheerendes Zeugnis für ihre Bahnpolitik ausstellte. Tatsächlich wird der hoch subventionierte Staatskonzern zum Fass ohne Boden, die Nettoschulden sollen auf 34 Milliarden Euro gestiegen sein. Damit häufte die DB in nur 30 Jahren seit der Bahnreform 1994 eine größere Schuldenlast an als einst Bundesbahn und DDR-Reichsbahn zusammen.
Entlastung soll der Verkauf der Spedition DB Schenker in diesem Jahr bringen, bis zu 15 Milliarden Euro Einnahmen zur Schuldentilgung werden erhofft. Damit fiele indes auch der bisher größte Gewinnbringer weg. Dank hoher Frachtraten hatte Schenker 2022 rund 1,8 Milliarden Euro Rekordertrag erzielt, voriges Jahr war es laut Reuters noch rund eine Milliarde. Ohne die Lkw-, Luft- und Seefracht-Spedition wären die DB-Verluste noch weit höher ausgefallen – denn in den Kerngeschäften auf der Schiene wird kaum oder gar kein Geld verdient.
Thomas Wüpper