4. März 2024 | 14:02 Uhr
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Start-ups wollen Europas Schienen erobern

Junge Unternehmen wie Green City Trip und European Sleeper treiben trotz vieler Hürden das nachhaltige Reisen voran und sorgen so neben den Staatsbahnen für attraktive neue Angebote – auch in Deutschland.

Green City Trip Nachtzug

Unternehmen wie Green City Trip haben noch einige Pläne

Hessel Winkelman und Maarten Bastian haben ihre Karriere früh gestartet. Gerade volljährig geworden, gründeten die beiden Freunde 2010 den Reiseveranstalter Flywise und organisierten erfolgreich Städtetrips per Flieger für niederländische Kunden. Inzwischen setzt das Duo auch auf die Schiene: Seit Oktober 2021 werden unter der Marke Green City Trip nachhaltige Zugreisen angeboten, teils mit Partnern wie Europas größtem Tourismuskonzern TUI, für den die Niederländer in dieser Wintersaison erstmals den Ski-Express über Nacht nach Österreich fahren.

Das soll nur der Anfang sein. "Wir haben bewiesen, dass wir Bahnreisen gut organisieren, vermarkten und abwickeln können", betonen Winkelman und Bastian im Gespräch. Mit dem ersten noch gemieteten Zug wurden ab Amsterdam zunächst Städtereisen nach Skandinavien und bis nach Venedig angeboten, die Abteile waren trotz Corona meist ausgebucht. Dann gelang ein großer Wurf. Das Duo sicherte sich die Option auf 250 gebrauchte Wagen von den niederländischen Staatsbahnen NS, die selbst neue Züge anschaffen.

Neue DB-Konkurrenz im Fernverkehr 

Damit hat Green City Trip bereits einige Hürden überwunden, an denen viele andere scheitern. Der liberalisierte Schienenmarkt in Europa steht im Prinzip seit Jahren allen Unternehmen mit Lizenz offen. Doch neue oder gemietete Züge kosten enorm viel Geld, Finanzierungen sind schwierig, Personal und attraktive Fahrzeiten nicht leicht zu bekommen. Zudem erschweren nationale Vorschriften den Markteintritt. Vor allem im oft hoch subventionierten Regionalverkehr gibt es daher neue Wettbewerber. Im Fernverkehr, der ohne direkte Zuschüsse auskommen soll, dominieren weiterhin die großen Staatsbahnen mit Hilfe der Politik. 

Das soll sich ändern. Mit den modernisierten Zügen wollen die Flywise-Gründer von Amsterdam aus schon bald auch hierzulande fahren. Die ICE-Flotte der bundeseigenen Deutschen Bahn AG wird damit einen neuen Wettbewerber neben dem bisher einzigen größerer Konkurrenten Flixtrain bekommen. "Wir werden im Frühjahr 2025 die tägliche Verbindung zwischen Berlin und Amsterdam starten", kündigt Maarten Bastian an. Weitere Züge nach München, Basel, Paris und Kopenhagen und in Gegenrichtung sollen folgen.

Go Volta: Jeden Tag Berlin – Amsterdam

Das spannende Projekt trägt den Namen Go Volta und soll noch in diesem Jahr den Betrieb aufnehmen. Das Unternehmen will internationale Tageszüge fahren und attraktive Tarife bieten. Bei der niederländischen Behörde für Verbraucher und Markt (AMC) hat Flywise vorigen November einen Fahrplan mit täglichen Zügen am Morgen ab Amsterdam über Bad Bentheim, Osnabrück und Hannover bis nach Berlin und dem dortigen Flughafen BER angemeldet. Der Zug in Gegenrichtung soll mittags kurz vor 13 Uhr starten, Fahrtzeit acht Stunden.

Damit tritt Go Volta in direkte Konkurrenz zum betagten DB-Intercity Berlin – Amsterdam. Der Staatskonzern will noch in diesem Jahr indes auf dieser Strecke die ersten neuen ICE L einsetzen, die der spanische Hersteller Talgo baut. Für Reisende gibt es damit voraussichtlich bald mehr Auswahl. Weitere Anmeldungen der Niederländer sehen eine tägliche Verbindung Amsterdam – Paris vor sowie dreimal pro Woche einen Zug nach Basel, und zwar über die Rheinstrecke mit Halt in Köln, Koblenz, Mannheim, Karlsruhe, beim Europa-Park und in Freiburg.

Kritik an erschwertem Ticketverkauf

"Es ist eine große Herausforderung, solche internationalen Verbindungen zu etablieren", betont Bastian. Die Fahrzeiten und Streckenführung müsse mit den unterschiedlichen nationalen Infrastrukturbetreibern ausgehandelt werden, es fehlten dafür in der Europäischen Union bisher effiziente Prozesse für Planung und Umsetzung. Zudem werde Reisenden der Preisvergleich und Ticketkauf unnötig erschwert, weil etablierte Bahnunternehmen ihre Verkaufssysteme wie den DB Navigator nicht für neue Anbieter öffnen wollen. "Das muss sich endlich ändern", fordert Bastian.

Green City Trip will umweltfreundlichen Bahn-Tourismus fördern. Die Niederländer vermarkten ihre Zugangebote vor allem als attraktive Pauschalpakete inklusive Hotels und Ausflügen. "An der Fahrt allein ist wenig zu verdienen, vor allem Nachtzüge sind als Hotels auf Rädern im Betrieb sehr aufwändig und teuer", erläutert Winkelman. Die Onlinebuchung soll so einfach und bequem wie bei Airlines werden. Bisher sind besonders Nachtzüge in vielen Vergleichs- und Buchungsportalen überhaupt nicht zu finden.

Van Buuren: Nachtzug fährt ab März bis Prag

Die zu geringe Präsenz in großen Verkaufsportalen macht auch Elmer van Buuren und Chris Engelsman zu schaffen, den Gründern von European Sleeper (ES). Das niederländisch-belgische Bahnunternehmen wird als Genossenschaft von bisher rund 3.500 Kleinanlegern finanziert und fährt seit Mai 2023 seinen ersten Nachtzug zwischen Berlin und Brüssel. In den ersten neun Monaten wurden auf 180 Fahrten rund 35.000 Passagiere umweltschonend ans Ziel gebracht.

Ab 25. März wird die Linie nach Dresden und weiter nach Prag verlängert. "Dazu kooperieren wir mit der tschechischen Staatsbahn České dráhy", erläutert van Buuren. Für die Tschechen sei die neue Zugverbindung gen Westen rund 20 Jahre nach dem EU-Beitritt ein wichtiges Signal. Beim Festakt in Prag wollen Verkehrsminister Martin Kupka, Europaminister Martin Dvořák und Staatsbahn-Chef Michal Krapinec dabei sein. 

Night-Express nach Barcelona ab 2025?

ES hat große Pläne für weitere Nachtzuglinien, möglichst jedes Jahr soll eine neue Verbindung folgen. Für 2025 ist ein Nachtexpress zwischen Amsterdam und Barcelona geplant mit Halt in Rotterdam, Antwerpen, Brüssel, Lille, Avignon, Montpellier, Perpignan und Girona. Dafür will ES die ersten beiden neuen Züge anschaffen. "50 bis 60 Millionen Euro Investitionen sind dafür nötig", sagt Chris Engelsman. Noch werden Geldgeber gesucht.

Das Start-up setzt auch auf die Hilfe der EU-Kommission, die den "Good Night Train" nach Spanien als eines von zehn erwünschten Bahnprojekten in Europa unterstützt, um nachhaltiges Reisen und den Klimaschutz zu fördern. "Darauf sind wir sehr stolz", betont Engelsmann. Doch die Verhandlungen in Frankreich seien sehr schwierig, klagt sein Kompagnon van Buuren. Der dortige staatliche Infrastrukturbetreiber biete bisher nur eine Strecke an, auf der die Fahrt fünf Stunden länger dauern würde – und die gesamte Zugreise dann 24 Stunden. 

Wenig Unterstützung in Frankreich

"So ein unattraktives Angebot lässt sich nicht verkaufen", ärgert sich der Unternehmer. Offenbar gehe es den Franzosen darum, ihre Staatsbahn SNCF vor neuen Wettbewerbern zu schützen. Das sei viel zu kurz gedacht, denn von mehr Reisenden auf der Schiene profitiere immer das gesamte Bahnsystem. Van Buuren setzt lieber auf Allianzen. Deshalb wollen die beiden holländischen Start-ups ab sofort eng kooperieren, um das Nachtzugangebot in Europa zu verbessern. Über die Webseite von Green City Trip können nun auch vollständig organisierte Pauschalreisen von Belgien und den Niederlanden nach Berlin, Dresden und Prag mit dem ES-Nachtzug gebucht werden.        

Bisher werden Reisende auf der gut zwölfstündigen Fahrt von Brüssel über Rotterdam, Amsterdam und quer durch Deutschland bis an die Spree noch gehörig durchgerüttelt. Denn der erste "Good Night Train" besteht aus betagten, gemieteten und aufgemöbelten Wagons, die Schlafwagen wurden einst Mitte der 1950er Jahre in Österreich gebaut und laufen recht unruhig. Auch das wird sich ändern: ES bekommt mit Ende der Wintersaison die komfortableren Skiexpress-Wagen von Green City Trip. 

Gespräche mit möglichen Partnern laufen

Auch deren Chefs Bastian und Winkelman sind mit potenziellen Investoren in Gesprächen: "Wir suchen Partner, die uns langfristig strategische Vorteile bieten und mit denen wir unsere Wachstumspläne verwirklichen können." Das Ziel sei, Bahnreisen in Europa attraktiver und bezahlbar zu machen. Mit verstärktem Gegenwind von den großen Staatsbahnen müssen die Start-ups dabei rechnen. DB und ÖBB wollen den gemeinsam den grenzüberschreitenden Tag- und Nachtverkehr ebenfalls ausbauen – zum Teil mit nagelneuen Zügen.

Thomas Wüpper

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